Die abweisende Mutter
Es war einmal ein kleiner Junge, der viel zu früh
seinen Vater verlor.
Der sodann auch seine Mutter vermisste,
als sie ihren eigenen Verlust dadurch linderte,
indem sie vom kleinen Jungen forderte,
woran ihrer Seele mangelte.
Der kleine Junge mühte sich redlich,
doch vermochte er seine Mutter nicht zu stillen.
Sie wurde unersättlich
ob der unzureichenden Nahrung
und konnte doch ihrerseits nicht geben,
was vor allem der kleine Junge
so dringend benötigt.
***
Mit großen Entbehrungen blieb er an sie
gebunden, als er sie verließ.
Er suchte woanders und fand neue
abweisende Mütter, doch schließlich die Eine,
die geeignet schien zu vollenden,
was die Einstige leer gelassen.
Er sah sie als Heilige und betete sie an.
Doch war sie irdisch und erfüllte
nur unzureichend ihren Zweck,
wie er bald merkte.
Sie mühte sich redlich, doch gelang es ihr nicht,
zu füllen, was einst versäumt.
Enttäuscht wandte er sich ab
und beklagte sich bitter.
Versuchte zu zwingen, worauf er glaubte,
endlich Anspruch zu haben.
Und konnte seinerseits auch ihr nicht geben,
wonach auch sie es dürstete.
***
Hadernd entfernten sich beide voneinander,
umso mehr, je mehr sie sich sehnten,
sich enttäuschten und bekämpften.
Wieder fand der kleine Junge
die Erlösung nicht.
Sich rächend betrog er seine Frau,
wertete sie ab und triumphierte über sie.
Getroffen zog sie sich zurück
und verweigerte sich.
Wird abweisend gemäß der wahren Mutter.
Ihrer beider Verletztheit lässt sie
unerbittlich miteinander werden.
Ein Miteinander, das festigt statt trennt
und gerade hierdurch eine Dimension
an Bindung erreicht,
wie es die Liebe nie täte:
Für ewig in Stein gemeißelt.
***
Nach dem Tod der wirklichen Mutter,
also ihrer unmütterlich-körperlichen Hülle,
trauert der Junge nicht.
Denn endlich glaubt er doch noch zu erlangen,
was ihm genommen und verwehrt.
In ihrem Hause wähnt er nämlich ihren Geist enthalten
und will dies statt ihrer
als bessere Mutter entstehen
und wiederaufleben lassen.
Er will sich eine Mutter errichten,
die nach seinen Wünschen jene Gestalt annimmt,
durch die er sich endlich
gehalten, geborgen, getragen
und vollständig genährt fühlen möchte.
***
Ein Ort vollkommener Geborgenheit soll es werden,
das verlorene Mutterherz.
Ähnlich einer ewig währenden Umarmung
kreiert er das Mutterhaus
entsprechend seiner tiefsten Sehnsucht.
Eine Wiege innigster Zweisamkeit
und mehr noch:
ein Eins-Sein,
das lebendige Menschen nur stören.
***
Doch in Unbehagen naht
das Ende des Projekts.
Es scheint etwas zu fehlen.
Da fällt ihm ein:
Die Krönung!
Er erschafft eine Sauna
in des Mutterhauses Mitte,
gleich dem wohligen Schoße
in den er endlich nackt und warm umhüllt
den weltlichen Anforderungen fliehen
und sich sinken lassen kann.
Um sich wahrhaftig angekommen zu fühlen.
***
Indes:
es fehlt der Geist, der mütterliche Odem,
das Gegenüber, das das Selbst reflektiert.
Eine Mutter ohne Widerhall,
leer und unheimelig unbelebt.
Wieder fühlt er sich betrogen.
Angst kriecht von unten nach oben.
Auf Dauer gelingt auch nicht mehr,
dagegen anzumasturbieren.
Auch dieser kleine Junge wird missbraucht
zu einem Zweck, für den er nicht bestimmt
- und quittiert seinen Dienst.
Auch die Sexualität braucht ein Du,
und das Habenwollen ein Gebenmüssen,
ohne solches auch Sexualität sonst
zur fordernden,
doch letztlich abweisenden Mutter wird.
Und der kleine Junge müht sich redlich.
Und wieder bleibt er einsam.
***
Schlussendlich stolpert er allein
und ohne mütterlichen Segen
in eine neue Welt hinein.
Nur mehr geleitet durch die Angst,
dass sie, die er bekämpft ,
ihrerseits nun ihn beim Wort nehmen könnte.
Er quält sich über die Trümmer, die er
tragischerweise geschlagen.
Und findet Antworten,
die weh tun.